Geschichten aus dem Wiener Wald

Inszenierung Michael Gampe
Bühnenbild & Lichtgestaltung Erich Uiberlacker Kostüme Gerti Rindler-Schantl  Musikalische Leitung Helmut Thomas Stippich Dramaturgie Oliver Binder Prodiktionsleitung Karin Gollowitsch

Nils Hausotte Alfred Alexandera Hilverth Die Mutter Johanna Mertinz Die Großmutter Reinhold G. Moritz Der Hierlinger Ferdinand  Alexandra-Maria Timmel Valerie Lukas Haas  Oskar Christoph-Lukas Hagenauer Havlitschek Alexander Strobele Rittmeister Clara Wolfram Marianne Wolfgang Böck Zauberkönig Tristan Witzel Erich Jo Bertl Emma Peter Faerber der Mister 

 

 

Geschichten aus dem Wienerwald – Theater zwischen Illusion und Abgrund

Wenn der Walzer klingt und die Donau leise rauscht, dann denkt man an Leichtigkeit, Romantik – an Wien eben. Doch wer Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wienerwald kennt, weiß: Hinter der folkloristischen Kulisse lauert die soziale Kälte, die menschliche Einsamkeit – und ein gnadenloser Blick auf das Scheitern. In seinem 1931 uraufgeführten Volksstück dekonstruiert Horváth nicht nur das Wiener Lebensgefühl, sondern auch das Genre des Volksstücks selbst. Horváths Volksstück – ein Gegenentwurf zur Idylle

Ödön von Horváth (1901–1938) war ein scharfer Beobachter seiner Zeit. Seine Dramen zeigen die kleinen Leute, das Bürgertum, die Sprachhülsen, in denen sie gefangen sind. Dabei knüpft Horváth formal an die Tradition des Volksstücksan, wie sie etwa von Nestroy oder Raimund geprägt wurde. Doch statt romantisch-verklärter Milieuschilderung liefert er eine desillusionierende Sozialstudie. Der Wienerwald, einst Sinnbild österreichischer Gemütlichkeit, wird zur Kulisse eines psychischen und sozialen Zerfalls.

Die Handlung dreht sich um Marianne, eine junge Trafikantin, die gegen die Erwartungen ihrer Umwelt rebelliert und in eine unglückliche Beziehung zu dem Hallodri Alfred gerät. Ihre Hoffnung auf ein freies Leben endet im Verlust, in Armut – und in der Rückkehr in die kleinbürgerliche Enge. Das Stück zeigt damit exemplarisch, wie individuelle Träume in gesellschaftlichen Strukturen zerschlagen werden.

Sprache als Material – das Theater der Sprachkritik

Ein zentraler theaterwissenschaftlicher Aspekt ist Horváths Umgang mit Sprache. Seine Figuren sprechen in Phrasen, in Schlagzeilen, in Redewendungen. Was wie natürliche Rede wirkt, entlarvt sich bei genauerem Hinhören als sprachliche Leere, als Ausdruck von Entfremdung und innerer Starre.

Horváth sagte selbst: „Ich bin eigentlich ein sehr konservativer Mensch. Ich habe nur das Vertrauen zur Sprache verloren.“

Diese Sprachskepsis wird zur zentralen Inszenierungsebene: Die Diskrepanz zwischen Gesagtem und Gemeintem erzeugt Spannung, Tragik – und bitteren Humor.

Inszenierungen von „Geschichten aus dem Wienerwald“ greifen dieses Sprachspiel oft durch Verfremdungseffekte oder eine betont nüchterne Spielweise auf. Die Nähe zu Bertolt Brecht und seiner Idee des epischen Theaters ist spürbar, auch wenn Horváth auf eine direkte politische Didaxe verzichtet. Vielmehr zeigt er die Mechanismen der Macht und Ohnmacht im Alltag.

Theater der Ambivalenz – zwischen Tragödie und Groteske

Horváths Stücke leben von ihrer Ambivalenz. Auch in „Geschichten aus dem Wienerwald“ wird das Tragische nicht heroisch überhöht, sondern im Banalen gezeigt. Der Tod ist kein großes Finale, sondern ein beiläufiges Faktum. Diese Nähe zur Groteske – etwa in der Figur des ehemaligen Zauberkönigs – unterstreicht das Existenzielle im Alltäglichen. Theaterwissenschaftlich betrachtet liegt hier ein starkes Beispiel für das anti-illusionistische Theater der Zwischenkriegszeit vor: Der Zuschauer soll nicht mitleiden, sondern erkennen.

Geschichten aus dem Wienerwald“ ist ein Stück, das mit der Form des Volksstücks bricht, um den Mythos der heilen Welt zu demontieren. Horváth schreibt kein Theater der Lösungen, sondern eines der Spiegelungen. Seine Figuren stolpern durchs Leben, gefangen in Konventionen, Sprache und ökonomischem Druck – Themen, die heute nicht weniger aktuell sind als 1931.

Das Werk ein Schlüsseltext für die Entwicklung eines modernen, gesellschaftskritischen Theaters im deutschsprachigen Raum – und ein Mahnmal dafür, dass unter dem Lächeln der Walzerseligkeit oft das Scheitern wartet.

 

 

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